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Behandlung einer älteren Dame

5. Tag der Seniorenzahnmedizin

Es ist ein Wandel von der belächelten Nische zum wichtigen Faktor bei Niedergelassenen. Die Seniorenzahnmedizin spielt eine immer größere Rolle bei Zahnärztinnen und Zahnärzten.


Das merkt man auch daran, dass sich der große Böttger-Saal am Hammfelddamm, dem Sitz der Zahnärztekammer Nordrhein, schnell füllt. Schon 15 Minuten vor dem offiziellen Start sind alle Plätze besetzt. Der Grund für den Ansturm: Vorstandsmitglied Mattias Abert hat zum 5. Tag der Seniorenzahnmedizin eingeladen. Diese Disziplin hat sich in rasender Geschwindigkeit aus der belächelten Nische hin zu einem wichtigen Feld der Zahnmedizin entwickelt.

„Die Bedeutung der Seniorenzahnmedizin ist enorm gewachsen“, sagt Dr. Ralf Hausweiler, Präsident der Zahnärztekammer in der Eröffnungsrede. Besonders die Zusammenarbeit mit den Pflegekräften sei hier enorm wichtig. Gerade auch, weil der
Expertenstandard Pflege von Zahnmedizinern mitentwickelt wurde, sei die Förderung der Mundgesundheit in der Pflege gesichert und auf einem guten Weg. „Die Richtlinien für die Mundpflege bildet eine solide Grundlage“, so Hausweiler.
Dies sieht auch Sandra Postel so. Die Präsidentin der noch relativ jungen Pflegekammer NRW war der Einladung der Zahnärztekammer gefolgt. Das Pflegefachpersonal habe mit dem Thema Mund-Gesundheit tagtäglich zu tun. „Und genau diese Veranstaltung heute nimmt das Thema wunderbar auf. Wir sind hier in einem sehr guten kollegialen Austausch, damit die kontinuierliche Versorgung, die wir in der Pflege leisten, mit der Behandlung von Zahnärztinnen und Zahnärzten optimal abgestimmt werden kann“, so Postel weiter. Hier sei noch einiges zu tun, stellte sie fest.


„Wirtschaftlich wird die Seniorenzahnmedizin in den kommenden Jahren immer wichtiger werden für niedergelassene Kollegen“, prognostiziert Elmar Ludwig von der Zahnärztekammer Baden-Württemberg. Der Grund sei relativ simpel: Die gute Präventionsarbeit sorge dafür, dass immer weniger junge Menschen überhaupt Karies- und Zahnbehandlungen benötigen. Daneben sei eine immer älter werdende Gesellschaft, die bis ins hohe Alter eigene Zähne haben. „Früher war die Seniorenzahnmedizin rein prothetisch orientiert“, führt Ludwig aus. Heute sei es viel komplexer.

Der Bedeutungszuwachs der Seniorenzahnmedizin ist also im Erfolg der präventiven Arbeit und der gestiegenen Mund- und Zahngesundheit begründet. Daneben führt ein gesellschaftlicher Wandel zu mehr Aufträgen und Arbeit. „Wir spüren, dass Angehörige, aber auch die älteren Menschen selbst, immer öfter bereit sind, mehr Geld auszugeben“, sagt Mattias Abert von der Zahnärztekammer Nordrhein. Das Vorstandsmitglied ist verantwortlich für den Bereich Alterszahnheilkunde. „Gerade bei Angehörigen ist die Bereitschaft zu investieren längst noch nicht ausreichend, die Tendenz geht aber klar nach oben“, so der Organisator und Gastgeber des 5. Tages der Seniorenzahnmedizin.

Rund 16 Prozent aller pflegebedürftigen Menschen in Deutschland sind in stationären Pflegeeinrichtungen. Überwiegend sind sie stark oder sehr stark pflegebedürftig. Der größte Teil der älteren Menschen wird Zuhause von den Angehörigen gepflegt, nämlich 63 Prozent – weitere 21 Prozent ebenfalls in den eigenen vier Wänden mithilfe von mobilen Pflegediensten.

84 Prozent werden also Zuhause gepflegt. Der größte Teil dieser älteren Menschen wird nicht regelmäßig zahnärztlich untersucht. Auch wissenschaftlich ist dieser Bereich wenig erschlossen. „Ein riesiges graues Feld“, so Abert. Und damit eine riesige Zukunftsaufgabe in der Zahnmedizin. Mit viel Potenzial.

„Unabhängig davon ist klar, dass die Seniorenzahnmedizin nur interdisziplinär ein voller Erfolg werden kann“, so Abert. Folgerichtig war der 5. Tag der Seniorenzahnmedizin auch vollständig interdisziplinär ausgelegt.

Geleitet und moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Dr. Greta Barbe und Dr. Elmar Ludwig. Während Prof. Barbe das Thema aus einer wissenschaftlichen Sicht betrachtete, wurde es bei Dr. Elmar Ludwig oft auch praktisch und mit ganz konkreten Tipps für den Alltag. „Der Gesetzgeber hat zusammen mit der Zahnärzteschaft in den letzten zehn Jahren wichtige Weichen gestellt, so dass wir ältere und pflegebedürftige Menschen gut zahnärztlich betreuen können“, sagte Dr. Ludwig. „Packen wir es an!“, appellierte er an die Anwesenden.

Prof. Dr. rer. medic. Annett Horn von der FH Münster hat sich in ihrem Teil dem Expertenstandard Mundgesundheit gewidmet. Im Jahr 2022 veröffentlichte das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) diesen interdisziplinären Standard. „Es ist wichtig, dass Pflegefachkräfte und Zahnmedizinerinnen eine gemeinsame Sprache sprechen“, sagte Prof. Horn. „Dabei hilft der Expertenstandard“, erklärte sie weiter.

Prof. Dr. med. habil Gabriele Röhrig-Herzog beleuchtete die Zusammenhänge zwischen der Mundgesundheit und der allgemeinen Gesundheit. Sie zeigte die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Korrelationen auf. Dabei ging sie speziell auf den multimorbiden geriatrischen Patienten ein und zeigte eindrücklich, welche konkreten Auswirkungen eine eingeschränkte Mundgesundheit hat.

Dr. oec. troph. Kerstin Jülicher näherte sich dem Thema disziplinentreu von der Ernährung her. „Gut gekaut ist halb verdaut“, sagte sie. Der Verdauungsprozess beginne bereits im Mund. Wenn diese „Vorbereitung“ im Mund nicht mehr gut funktioniere, dann seien die Auswirkungen vielfältig. Sie zeigte Wege, wie eine angepasste Ernährung zur Vermeidung von Fehl- und Mangelernährung aussehen kann. Damit lassen sich Folgeerkrankungen abwenden.

Mirjam Gauch vertiefte die Problematik mit ihrem Vortrag zu Dysphagie. Sprech- und Schluckstörungen sind ein relevantes Problem bei älteren Menschen. Häufig liegt die Ursache bei neurologischen Erkrankungen oder altersbedingten Veränderungen. Im schlimmsten Fall können sie während einer medizinischen Behandlung zu schweren Komplikationen führen, wie zum Beispiel Aspirationspneumonien, Malnutrition und Dehydrierung. Daher gilt es die Dysphagie zu kennen und entsprechend zu behandeln und im Notfall richtig zu reagieren.

Ramona Waterkotte war nicht nur ZFA, sondern auch gelernte Pflegefachkraft, bevor sie den universitären Weg einschlug. Hier absolvierte sie zwei Studiengänge in Soziologie und Sozialpädagogik. Ihr Schwerpunkt war die Sicht der Pflegekräfte und die „Herausforderungen bei der täglichen Mundhygiene in der Pflege“, so der Titel ihres Vortrags. Dabei beschäftige sie sich unter anderem mit der Frage, wie sich das Konzept „ambulant vor stationär“ bei der Versorgung und Mundgesundheit der älteren Menschen auswirkt.

„Das Tolle heute an dem Tag war, dass wir so viele verschiedene Professionen zusammen hatten und wir wirklich gemeinsam und interdisziplinär Konzepte entwickelt haben“, sagte Prof. Barbe am Ende eines lehrreichen und interessanten Tages. Der sechste Tag der Seniorenzahnmedizin wird also sicherlich folgen.

Weiteres zum Thema:

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ARTIKEL:

Tipps zur Behandlung von älteren und pflegebedürftigen Patienten

Interview: Prof. Ina Nitschke – Ein Leben für die Seniorenzahnmedizin

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