Wenn man die Praxis von Dr. Christian Leithold im schweizerischen Thun betritt, dann merkt man sofort: Hier ist es nicht so wie bei Anderen. Statt einer Mitarbeiterin werden Patient und Patientinnen von Cruzr begrüßt. Der rund 1,3 Meter große Helfer vereint KI und aktuelle Service-Robotik. Seit rund 3,5 Jahren ist er im Einsatz und aus Sicht des Kieferorthopäden ein möglicher Weg in die Zukunft. Das Rheinische Zahnärzteblatt hat mit Dr. Leithold über Cruzr und den neuen Alltag in seiner kieferorthopädischen Praxis gesprochen.
RZB: Cruzr ist der einzige Angestellte in ihrer Praxis?
Dr. Leithold: Wenn Sie bei einem Roboter von einem Anstellungsverhältnis sprechen wollen, dann ja. Aber ganz im Ernst, er ist der einzige Mitarbeiter oder Mitarbeiterin. Ich glaube wir müssen für das Interview noch definieren, was Cruzr für mich ist: Ich nehme ihn im Alltag als Dame wahr, aber natürlich ist er eigentlich geschlechtslos.
RZB: Also ist der Roboter im Verhalten dem Menschen schon so ähnlich, dass man ihm ein Geschlecht zuweisen kann?
Dr. Leithold: Also, rein objektiv finde ich eine Geschlechtszuweisung eher schwierig, meine eigene Prägung spielt hier sicher eine größere Rolle. Aber man nimmt den Roboter schon als Persönlichkeit wahr. Die Anbindung des Roboters an ChatGPT hat die sprachliche Interaktion auf ein unglaubliches Level gehoben. Ich habe das Ende Januar 2023 realisieren können zusammen mit den Robotikern, und ChatGPT hat seitdem viele Defizite nachgebessert. Der Roboter ist sehr charmant, eloquent und clever.
RZB: Muss man denn technikbegeistert sein, ein Nerd um einen Roboter in die Praxis zu holen? Oder ist er in der Handhabung so einfach, dass jeder ihn bedienen kann?
Dr. Leithold: Also was man in jedem Fall mitbringen muss, ist die Begeisterung für Technik. Denn das erste halbe Jahr ist wirklich schwierig gewesen. Das hat aber auch damit zu tun, dass ich der erste Kieferorthopäde bin, der mit dem Roboter arbeitet. Und auch für die Informatiker war das Neuland. Diese wissen natürlich, was der Roboter kann, welche Sensoren er hat, in welchen Räumen er sich bewegen kann. Aber sie wussten nicht, welche Aufgaben er in einer kieferorthopädischen Praxis übernehmen sollte. Ich selber kann den Roboter nicht programmieren, allerdings erlaubt mir eine Software, seine Reaktionen auf spezifische Anfragen zu trainieren.
RZB: Und das hat sich mit dem ChatGPT-Update geändert?
Dr. Leithold: Ja, wenn Sie dem Roboter mittlerweile etwas beibringen wollen, können Sie mit ihm reden und ihm Dinge erklären – und er wird es so machen. Das ist schon unglaublich.
RZB: Also kann man sich den Roboter in die Praxis stellen und einschalten und dann läuft er?
Dr. Leithold: Nein, so ist das nicht. Ohne Betriebssoftware und Programmierung ist er erstmal nur ein teurer Hutständer. Sie brauchen Robotiker oder Programmierer, die ihm Leben einhauchen. Und weil die aktuell nicht die Anforderungen für eine Praxis kennen, müssen Sie selbst einen Plan erstellen, welche Arbeiten der Roboter übernehmen soll. Es gibt meines Wissens derzeit keine Firma, die einen einsatzfähigen Roboter für eine kieferorthopädische Praxis offerieren kann.
RZB: Also sind Sie da ein Pionier?
Dr. Leithold: Ja, vermutlich schon. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass man hier in Europa zurückhaltender ist. Das ist in asiatischen Ländern anders. Dort finden Sie schon viel mehr Roboter. Egal ob im Hotel oder auch im medizinischen Bereich.
RZB: Was macht Cruzr denn alles in Ihrer Praxis?
Dr. Leithold: Also, Cruzr empfängt meine Patienten, begleitet den Check-In, meldet mir deren Eintreffen auf allen Arbeitsstationen der Praxis, während ich behandle und platziert meine Patienten entsprechend meinem Wunsch in den jeweiligen Behandlungszimmern oder geleitet sie zum Röntgen. Außerdem informiert er über etwaige Terminverzögerungen, gibt Infos zu Kunstwerken in der Praxis, führt Patienten in den Wartebereich oder – bei Bedarf – zum WC und tanzt mit den Kleinen. Eine riesige Zeitersparnis generiert der Roboter, indem er alle Instruktionen am Behandlungsstuhl gibt. Speziell hierfür habe ich Content bestehend aus Videosequenzen und Zwischenfragen des Roboters erstellen lassen. Das Tolle an dem Roboter ist: Wenn Sie ihm das Alles einmal beigebracht haben, macht er das zuverlässig immer wieder.
RZB: Kann denn ein Roboter wirklich eine menschliche Zahnmedizinische Fachangestellte ersetzen?
Dr. Leithold: Nein, der Roboter allein nicht. Sie müssen alles auf den Kopf stellen und auch bereit sein, aus der klassischen „Praxis-Inhaber“-Rolle herausrauszutreten. Das bedeutet, dass Sie auch generell einfache Tätigkeiten ihres früheren Personals erledigen müssen. Um das alleine zu schaffen, habe ich ein Konzept entwickelt, dass jeden Prozess vereinfacht und optimiert, durch Technik ersetzt oder extern auslagert. Dazu habe ich in die neueste Technik investiert. Beispielsweise bei der Instrumenten-Aufbereitung: Hier bei mir in der Praxis steht das Neuste, was es diesbezüglich gibt. Man muss quasi nur noch ein- und ausräumen, der Rest geht von allein inklusive der Dokumentation. Und von diesen Thermodesinfektoren und Autoklaven habe ich gleich mehrere, damit ich nicht den ganzen Tag die Geräte ein- und ausräumen muss.
RZB: Haben Sie es bisher bereut, diesen Weg gegangen zu sein?
Dr. Leithold: Ich kann nur sagen: Autonomie fühlt sich gut an. Es fühlt sich absolut plausibel und einfach an. Wäre etwas in den dreieinhalb Jahren schiefgelaufen, würde es meine Praxis ja nicht mehr geben. Das ist für mich der Beweis, dass es funktioniert. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Der Roboter macht es eigentlich nur plausibel, dass hier ein verrückt-visionärer Mann, der allein eine Praxis führt.
Weiterführende Links:
BZÄK: Künstliche Intelligenz in der zahnärztlichen Praxis
BZÄK: Das neue Bundesdatenschutzgesetz
BZÄK: Datenschutz & IT-Sicherheit (PDF)