ZÄK Nordrhein geht gegen gewerbliche Aligner-Shops vor – politisch, rechtlich und medial
Seit fünf Jahren befasst sich die Kammer fast täglich mit Aligner-Shops, hat über 100 Vorgänge und Verfahren sowie Patientenbeschwerden vorliegen und unzählige politische Gespräche und Schriftwechsel initiiert.
„Die Folgen von falschen Behandlungen, die wir durch gewerbliche Aligner-Anbieter derzeit sehen, sind weitreichend“, erklärt Dr. Ralf Hausweiler, Präsident der Zahnärztekammer Nordrhein. Daher ist die Kammer aktiv und ihre Anstrengungen zeigen Wirkung:
Die Zahnärztekammer Nordrhein diskutierte, gemeinsam mit der ZÄK Westfalen-Lippe in der Vergangenheit regelmäßig mit dem MAGS NRW, auch direkt mit dem Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann.
„Um die Freiberuflichkeit der approbierten Heilberufe zu schützen und der zunehmenden Kommerzialisierung in diesem Bereich Einhalt zu gebieten, hat die Landesregierung die Vierte Änderung des Heilberufgesetzes (HeilBerG) initiiert, die am 9. Februar 2024 in Kraft getreten ist“, heißt es jetzt im Bericht, den Minister Laumann dem Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landtages NRW am 3. Juni, für die Sitzung des Gesundheitsausschusses am 5. Juni 2024, vorgelegt hat.
Darin „erklärt der neu gefasste § 29 HeilBerG die Ausübung patientenbezogener ärztlicher, psychotherapeutischer und zahnärztlicher Tätigkeit in gewerblicher Form ausdrücklich für unzulässig.“
Aligner-Shops stehen nicht nur politisch, sondern auch rechtlich und medial derzeit unter Druck. Die Kammer untersucht dabei Patientenfälle, prüft Geschäftsmodelle und hinterfragt die Verbindungen, insbesondere die zu einer Zahnklinik. „Die Klinikkonzession für diese Zahnklinik wurde, aus unserer Sicht, zu Unrecht erteilt“, erklärt Dr. Hausweiler.
Ein Bericht des Business Insiders titelte am 18. Mai 2024: „Ordnungsamt-Ärger bei Dr Smile: Beruht das Geschäftsmodell auf einer fragwürdigen Briefkastenklinik?“ „Nach unserem Wissen wurde dort nie eine zahnmedizinische Behandlung durchgeführt“, erklärt Dr. Hausweiler.
Eingreifen müsste die Gewerbeaufsicht, mit der die Kammer seit Langem in Kontakt ist. Die Landesregierung prüft zurzeit, laut Bericht von Gesundheitsminister Laumann, „ob im Erlassweg konkretisierende Hinweise zur Ausübung der Gewerbeaufsicht gegeben werden können.“ Genau das war Thema in der Gesundheitsausschusssitzung am 5. Juni 2024. Ergebnis: Der Erlass soll zeitnah in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium, nach Erörterung mit den Zahnärztekammern, erarbeitet werden.
Kammerpräsident Dr. Hausweiler fasst zusammen: „Ein Firmengeflecht, das diese wichtige Säule des Patientenschutzes umgeht, gefährdet die Gesundheit und kostet am Ende womöglich viel Geld für eine weitere Behandlung. Ein solch absurdes Geschäftsmodell ‚Zahnmedizin ohne Zahnärzte‘ muss gestoppt werden.“
Es ist so eindeutig: Die kieferorthopädische Korrektur von Zahnfehlstellungen mittels Aligner ist Ausübung der Zahnheilkunde im Sinne des Zahnheilkundegesetzes und damit ausschließlich Zahnärztinnen und Zahnärzten vorbehalten. Die Behandlung steht daher strafbewehrt unter dem Approbationsvorbehalt.
„.. begleitet von Zahnärzt*innen“ prangt in großen Lettern auf der Homepage eines großen Smile-Shops. Diese Aussage erweckt den Eindruck, die Behandlung erfolge durch Zahnärzte begleitet. Die Zahnärztekammer hat inzwischen gegen die Firma und einzelne Kooperationszahnärzte Strafanzeige wegen unerlaubter Ausübung der Zahnheilkunde gestellt und prüft weitere rechtliche Schritte.
Bereits im Juli 2021 hat die Zahnärztekammer daher alle Mitglieder informiert, dass Kooperationen mit Aligner-Shops berufsrechtlich zu beanstanden sind.
Aus Sicht der Zahnärztekammer Nordrhein verstoßen die Kooperationszahnärzte sowohl gegen die Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung als auch und insbesondere gegen das Gebot der zahnärztlichen Unabhängigkeit.
Bei der Zahnärztekammer ist eine Begutachtungsstelle zur Überprüfung von Behandlungsfehlern eingerichtet. Zahnmedizinische und juristische Experten können bewerten, ob die Behandlung fehlerhaft war.
Dr. Thorsten Svanström, Mitglied der Begutachtungsstelle, ist einer dieser Experten, die schon mehrere Aligner-Behandlungen durch Smile-Shops zu bewerten hatten. „In den Gutachterfällen mussten wir feststellen, dass das Behandlungsniveau in den Aligner-Shops deutlich unterhalb des zahnmedizinischen Standards liegt“, sagt Dr. Svanström, der auch Referent der Kammer für Kieferorthopädie ist. Weiter stellt er fest: „Die uns vorgelegten Rechnungen waren inhaltlich und fachlich zu beanstanden und nicht korrekt erstellt.“
Die Zahnärztekammer warnt seit 2021 ihre Mitglieder und Patienten über interne und öffentliche Medien vor Smile-Shops – sowohl proaktiv beispielsweise via Mitglieder-Rundschreiben oder RZB-Artikeln und Pressemitteilungen als auch reaktiv in der Beantwortung von Presseanfragen. Auch die Medien haben sich dieser Thematik angenommen und berichten kritisch zu den gewerblichen Anbietern:
Quelle: Rheinische Post, 12.06.2024
Quelle: Frankfurter Rundschau, 07.06.2024
Quelle: WDR Markt, 29.05.2024
Quelle: Business Insider, 18.05.2024
Quelle: Business Insider, 19.02.2024
Quelle: RTL, 05.09.2022
Quelle: Handelsblatt, 25.04.2022
Weiter berichteten beispielsweise der Kölner Stadtanzeiger, 1 Live, Radio NRW, RTL und PlusMinus.
Politisch setzt sich die Kammer weiter ein. Doch ein weiterer Schritt ist nötig: „Wir benötigen nicht nur klare gesetzliche Vorgaben, sondern auch deren Vollzug, damit nicht berufsfremde Dritte Zahnheilkunde anbieten“, betont Dr. Hausweiler.
Autorin: Nicole Krzemien