Der Präsident der Zahnärztekammer Nordrhein, Dr. Ralf Hausweiler, warnte bei der Kammerversammlung vor einem grundlegenden Umbau des Gesundheitssystems durch Minister Karl Lauterbach.
Es war in der Talkshow von Markus Lanz, in der Stammgast und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nebenbei über seine Pläne für einen Schutzschirm zu Abmilderung der gestiegenen Energiekosten sowie der Inflation sprach – für Krankenhäuser und Pflegeheime. „Es gab kein einziges Wort über ein Maßnahmenpaket zur Entlastung für Zahnarzt- und Arztpraxen“, kritisierte Kammerpräsident Dr. Ralf Hausweiler bei der Kammerversammlung der Zahnärztekammer Nordrhein am 26. November in der apobank-Zentrale in Düsseldorf. Ein Beispiel, das symptomatisch für die Gesundheitspolitik Lauterbachs steht. „Das Credo aus Berlin lautet: stationäre Versorgung first, ambulante Versorgung nicht einmal second“, so Dr. Hausweiler, „die Politik ist auf dem ambulanten Auge blind.“
Denn es ist nicht das erste Mal, dass die Zahnmedizin in der Politik nicht berücksichtigt wird. Als in der Corona-Pandemie ein finanzieller Schutzschirm gespannt wurde, blieben Zahnärztinnen und Zahnärzte ebenfalls außen vor. Auch beim GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zeige sich die Wertschätzung, die die Zahnmedizin derzeit in Berlin genieße. Denn die jüngst eingeführte PAR-Behandlungsstrecke, die ein Meilenstein in der Behandlung von Parodontitis ist, fällt umgehend wieder dem Rotstift zum Opfer.
Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, sprach in Hinblick auf das GKV-FinStG von einem „toxischen Politikcocktail.“ Es begrenze das Wachstum der Punktwerte, budgetiere die Gesamtvergütungen und begrenze deren Zuwachs und verhindere einen geordneten Roll-Out der neuen Parodontitis-Therapie.
„Vor laufenden Kameras zitiert der Bundesgesundheitsminister allzu gerne die sogenannte einschlägige Studienlage“, sagte Dr. Hausweiler bei der Kammerversammlung, „im Falle der PAR-Behandlungsstrecke ignoriert er wissentlich die Fachgesellschaften in ganz Europa und die S3-Leitlinie zur Behandlung von Parodontitis.“
Der KZBV-Chef Dr. Wolfgang Eßer kritisierte deutlich die fehlende Kommunikationsbereitschaft des Bundesgesundheitsministers mit der der Zahnärzteschaft. Bei dessen Vorgängerinnen und Vorgänger hätte es wenigstens im Vorfeld von Gesetzesänderungen stets Ankündigungen, Eckpunktepapiere und Gespräche mit teils sehr kontroversen Diskussionen gegeben. Prof. Lauterbach mache hingegen Politik im Alleingang. „Wer ein Gesetz spätestmöglich vor der Sommerpause einbringt und uns dann am Freitagnachmittag, übers Wochenende eine Stellungnahmefrist von vier Tagen einräumt, der demonstriert damit unmissverständlich, dass er kein Interesse am Dialog hat“, so Dr. Eßer.“
Das sei aber längst nicht alles, wie Dr. Hausweiler klarstellte: Mittelfristig drohen grundlegende und willkürliche Eingriffe in das Gesundheitswesen. So habe SPD-Gesundheitspolitikerin Heike Baehrens erst kürzlich erklärt, dass Ärzte das Problem im Gesundheitswesen seien, und SPD-Vorsitzende Saskia Esken habe offen gesagt, dass sich das Thema Niederlassung erledigt habe und Polikliniken das einzig zukunftsweisende Modell seien. Das verkennt laut Dr. Hausweiler die Leistungen der Zahnärzteschaft zur Versorgung – insbesondere in der Hochphase der Pandemie: „Wer ein widerstandsfähiges Gesundheitssystem möchte, der muss Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung stärken.“
Um diese Errungenschaften zu verteidigen, brauche es eine Zahnärzteschaft, die mit einer Stimme spreche, forderte Dr. Hausweiler: „Der Gegner sitzt nicht hier! Hier ringen wir um Lösungen und Ideen, der Gegner sitzt dort, wo das Gesundheitssystems grundlegend geändert werden soll!“ Ähnlich äußerte sich Dr. Oktay Sunkur, Fraktionsvorsitzender des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte in Nordrhein: „Wir müssen zusammenhalten und eine Sprache sprechen.“
Denn die Herausforderungen für Zahnärzteschaft sind vielfältig. Die Medical Device Regulation (MDR) sorgt weiterhin für einen immensen bürokratischen Mehraufwand in den Zahnarztpraxen. Jüngstes Beispiel sind die sogenannten Benannten Stellen wie der TÜV, die jedes Medizinprodukt, das nach Mai 2017 zugelassen wurde, rezertifizieren müssen. Ohne diese Rezertifizierung dürfen alte Medizinprodukte ab Mai 2024 in der EU nicht mehr in den Verkehr gebracht werden.
Das Problem: Aktuell dauern die Verfahren rund 18 Monate, viele Benannte Stellen nehmen aufgrund von Überlastung gar keine Anträge mehr an. Der Vorschlag der Zahnärztekammer Nordrhein, eine automatische Zertifikatsverlängerung gestaffelt nach Risikoklassen erfolgen zu lassen, wurde vom Bundesgesundheitsministerium abgelehnt. Dort sehe man zwar das Problem, appelliere aber an die Beteiligten, selbst eine Lösung zu finden. Eine Verlängerung der Übergangsfristen oder das Ausstellen vorläufiger Zertifikate schließt das Ministerium dagegen entschieden aus.
Ähnlich sieht es im Bereich Strahlenschutz aus. Ab 1. Januar 2023 müssen neu angeschaffte zahnärztliche Röntgengeräte gemäß der Strahlenschutzverordnung eine Funktion zur automatischen elektronischen Aufzeichnung der Expositionsparameter haben. Viele Hersteller können diese Vorgabe jedoch nicht umsetzen. „Geht mein Kleinröntgengerät, das noch unter Bestandsschutz fallen würde, im Januar kaputt“, so erklärte es Dr. Hausweiler, „dann könnte ich nicht mehr röntgen, da ich kaum ein den Vorschriften gerecht werdendes Gerät auf dem Markt kaufen kann.“ Das zuständige Umweltministerium lehnt bislang jegliche Verlängerung der Frist ab. „Ohne Medizinprodukte gibt es auch keine Behandlung, was für eine Farce“, sagte Dr. Hausweiler.
Untätigkeit zeigt sich auch bei der Regulierung von investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ). Im November 2021 hatte die Gesundheitsministerkonferenz einstimmig beschlossen, dass konkrete Vorschläge zur Eindämmung des Problems bis Juni 2022 vorgelegt werden sollten. Die Planungsgruppe, die dazu einberufen werden sollte, gibt es jedoch bis heute nicht – obwohl Minister Lauterbach noch gegenüber der Zahnärztekammer Nordrhein erklärt hatte, er habe das Problem im Blick.
Dabei gab es erst vor wenigen Wochen eine Razzia in iMVZ in Ostdeutschland gegen eine HNO-Kette wegen des Verdachts auf Betrug, Körperverletzung und der Durchführung chirurgischer Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit. CDU und Grüne wollen sich dem Problem in Schleswig-Holstein dagegen annehmen und planen, den Ankauf von Praxen durch Fremdinvestoren zu unterbinden. Auch in NRW sei nach Gesprächen mit den Heilberufskammern ein solches Vorgehen denkbar, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. „Minister Lauterbachs Augenmerk gilt wohl eher seinem Auftreten in Talkshows“, so Dr. Hausweiler.
Bessere Nachrichten hatte Dr. Ralf Hausweiler dagegen zum Haushalt der Zahnärztekammer Nordrhein: „Die Zahlen entwickeln sich weiterhin gut.“ Bereits 2021 konnte der Haushalt ausgeglichen werden. 2022 wird diese Entwicklung nach den vorläufigen Zahlen noch einmal verstärkt, sodass voraussichtlich in zwei aufeinanderfolgenden Jahren Gelder aus den Bilanzüberschüssen in die Rücklagen eingestellt werden können.
Dieser Trend ist auf Kosteneinsparungen in der Verwaltung einerseits sowie einer Einnahmensteigerung des Fortbildungsinstituts und natürlich auch der geänderten Beitragsstruktur andererseits zurückzuführen. Und auch in Zukunft werden die Finanzen stabil bleiben. Mit dem Umzug der Verwaltung in die neuen Räumlichkeiten in Neuss können jährlich rund 500.000 Euro Mietkosten eingespart werden, ein mitentscheidender Bestandteil der langfristigen Haushaltskonsolidierung.