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Prothesenunverträglichkeit: Ein Problem – viele Ursachen

Beschwerden sollten nicht vorschnell als psychosomatisch abgestempelt werden, denn häufig liegen verschiedene Gründe hinter einer Unverträglichkeit.


Zum wiederholten Mal sitzt der Patient auf dem Behandlungsstuhl. Zum wiederholten Mal klagt er über ein Brennen im Mund und eine Unverträglichkeit seines Zahnersatzes. Doch der Zahnarzt kann partout keine medizinische Ursache für die Beschwerden finden – sind die Symptome vielleicht psychosomatisch?

Ein Urteil, das laut Prof. Dr. Wilhelm Niedermeier oft zu voreilig getroffen wird. Nicht nur in diesem fiktiven Fall, sondern in vielen Zahnarztpraxen. Man dürfe Patienten nicht in eine Schublade stecken und ihnen vorwerfen, dass sie spinnen, sagt Prof. Niedermeier. Und die Statistik gibt ihm recht: Weniger als ein Prozent aller Fälle von Prothesenunverträglichkeit sind rein psychosomatisch. Die überwiegende Mehrheit, insgesamt 68 Prozent, sind dagegen multikausal.

Dazu können natürlich auch psychosomatische, aber vor allem auch somatopsychische Symptome gehören. „Wenn man immer wieder Beschwerden hat und niemand eine Ursache findet, wirkt sich das zwangsläufig auch auf die Psyche aus“, so Prof. Niedermeier. Aber das sei eben nur eine und nicht die Ursache für Unverträglichkeiten. Auch der häufige Vorwurf, der Zahnersatz halte aufgrund von Bewegungen der Zunge schlechter, greife in den meisten Fällen zu kurz.

 

„Zahnärzte müssen mehr physikalisch denken“

Eine der häufigsten Beschwerden von Patienten ist ein Brennen, ein Symptom des Burning-Mouth-Syndroms. Die Ursache dafür kann im verwendeten Material liegen. Denkbar ist eine Unverträglichkeit des verwendeten Metalls oderim Fall von Gold eine Allergie. Auch Wechselwirkungen zwischen Materialien mit verschiedenen Legierungen oder mit Amalgamfüllungen sind keine Seltenheit. „Wenn sich bereits drei Legierungen im Mund befinden, sollte man nicht noch eine vierte hinzufügen“, so Prof. Niedermeier, „es ist wichtig, dass Zahnärzte mehr physikalisch denken.“ Bei Möglichkeit solle auf Zahnersatz aus Metall verzichtet werden, ebenso auf verschiedene Legierungstypen.

Oft liegt die Ursache für Unverträglichkeiten aber gar nicht im verwendeten Material, sondern ist an anderer Stelle zu suchen: beim Speichelfluss, spezifisch einer Hyposalivation. Um eine Mundtrockenheit richtig einzuschätzen, sollte der Zahnarzt im Mund des Patienten einen Gleittest durchführen und dabei mit dem Finger über den Gaumen wischen. Zusätzlich sollte der Patient gefragt werden, ob er Beschwerden beim Schlucken hat oder nachts ein Wasserglas neben seinem Bett benötigt. Anhand dieser Schritte kann bereits gute eine Aussage bezüglich einer Hyposalivation getroffen werden.

 

Viele Medikamente reduzieren den Speichelfluss

Um die Ursachen für verminderten Speichelfluss zu lokalisieren, ist eine Medikamentenanamnese unvermeidbar, da dort häufig eine Ursache für Hyposalivation liegt. Denn rund 86 Prozent aller Medikamente beeinflussen den Speichelfluss. Daher ist es empfehlenswert, sich bereits vor der Behandlung mit der Medikation der Patienten auseinanderzusetzen. „Lassen Sie sich am besten alles mitbringen, was der Patient einnimmt“, sagt Prof. Niedermeier. Neben möglichen Nebenwirkungen müsse dabei auch auf Wechselwirkungen zwischen Medikamenten geachtet werden. Ein Medikament, das wegen zu hoher Dosierung häufig Auswirkungen auf den Speichelfluss habe, ist Digitalis, ein Präparat zur Behandlung von Herzschwäche, wie Prof. Niedermeier berichtet.

Kann die Mundtrockenheit in der Medikamenteneinnahme verortet werden, gibt es zwei Möglichkeiten zur Behandlung. Zum einen können den Speichelfluss steigernde Präparate wie Pilocarpin oder Speichelersatzlösungen, die wie Haftmittel aufgetragen werden können, verschrieben werden. Der andere Weg ist, mit dem behandelnden Hausarzt oder Internisten abzuklären, ob eine Reduktion der Dosierung bei den betreffenden Medikamenten möglich ist.

 

Zahnersatz immer Probe tragen lassen

Um möglichst frühzeitig bei Beschwerden intervenieren zu können, empfiehlt Prof. Niedermeier, dass die Patienten den Zahnersatz mindestens 72 Stunden Probe tragen, bevor dieser zementiert wird. „Das bedarf zwar eines zweiten Termins, aber der Vorteil liegt auf der Hand.“

Großflächiger Zahnersatz sollte bei Möglichkeit grundsätzlich vermieden werden, da Totalprothesen immer einen starken Reiz für die Schleimhäute darstellen. Implantate sind dagegen deutlich verträglicher.

Außerdem sollte ein Zahnersatz nicht in Extremsituationen des Patienten eingesetzt werden, beispielsweise direkt nach einem Todesfall oder ähnlichen Ausnahmesituationen, da sich eine psychische Belastung ebenfalls auf die Verträglichkeit auswirken kann. Im Zweifel sollte ein Termin in diesem Fall verschoben werden.

Schlussendlich gilt: Der beste Zahnersatz ist immer derjenige, der sofort passt. Mit jedem Besuch in der Praxis ohne Verbesserung der Situation werden die Patienten sensibler und verlieren zunehmend ihr Vertrauen in die Behandlung, berichtet Prof. Niedermeier. Und Zahnärzte sollten sich auch nicht scheuen, einen Kollegen zu Rate zu ziehen, wenn trotz aller Untersuchungen immer noch keine Ursache zu finden ist. „Man wird irgendwann betriebsblind“, so Prof. Niedermeier. Denn die eingangs beschriebene Situation der immer wiederkehrenden Beschwerden und Besuche beim Zahnarzt sind nicht nur für den Patienten, sondern auch für den Zahnarzt belastend. Mithilfe eines frischen und vor allem externen Blicks lässt sich vielleicht noch einmal ein neuer Ansatz finden – und schlussendlich dem Patienten helfen.

Autor: Daniel Schrader

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