Neben iMVZ war bei der Kammerversammlung am 17. Juni in Neuss auch die verfehlte Sparpolitik von Gesundheitsminister Lauterbach ein Thema.
„Manche Situation war vor dem Patienten einfach nicht mehr vertretbar“, heißt es in einem Bericht, der die Zahnärztekammer Nordrhein erreicht hat, „im Grunde versucht man, mich zu zwingen, fehlerhaften und unsachgemäß hergestellten Zahnersatz einzusetzen.“ Geschrieben wurden diese Zeilen von einem Zahnarzt, der seine Praxis an einen Investor verkauft hat – und diese Entscheidung inzwischen bereut.
Ein anderer Bericht eines Mitarbeitenden beschreibt, wie in einem iMVZ bei Patienten medizinisch nicht notwendige Füllungen gelegt oder gar gesunde Zähne gezogen wurden. „Was nach Aussagen von Insidern in iMVZ passiert, verstößt gegen jede Medizinethik und wäre nichts anderes als Körperverletzung“, machte Dr. Ralf Hausweiler, Präsident der Zahnärztekammer Nordrhein, bei der Kammerversammlung am 17. Juni in Neuss deutlich.
Zwar würden die Investoren nicht müde, Lobbyarbeit für ihre Konstrukte zu betreiben – so hatte der Gesundheitsökonom Bernd Raffelhüschen erst kürzlich den Beitrag von iMVZ zur Versorgung hervorgehoben. Doch ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Prof. Helge Sodan von der Freien Universität Berlin im Auftrag der KZBV spricht eine andere Sprache.
Darin warnt Prof. Sodan in Hinblick auf das Abrechnungsverhalten vor den Auswirkungen der iMVZ auf die Versorgung. In dem Gutachten heißt es wörtlich: „Aus der Beteiligung von Finanzinvestoren an der vertragszahnärztlichen Versorgung lassen sich Gefahren für das Patientenwohl und für die Versorgungsqualität ableiten.“
Doch das ist nicht das einzige Argument, wie Dr. Hausweiler in der Kammerversammlung klarstellte: „Auch das häufig vorgetragene Argument, MVZ würden eine bessere Work-Life-Balance als andere Praxisformen bieten, indem dort vermehrt Teilzeitangebote für Angestellte gemacht werden, lässt sich nicht halten.“ Denn während der Anteil an angestellten Zahnärzten in Teilzeit in Einzelpraxen bei rund 40 Prozent liegt, sind es in MVZ gerade einmal 28 Prozent.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte kürzlich vor investorengetragenen MVZ „Arbeitsverdichtungen und Überstunden sind keine Seltenheit und führen nicht selten dazu, dass insbesondere nichtärztliches Personal die Einrichtungen verlässt“, heißt es in einer Mitteilung des DGB.
Deshalb sei es wichtig, dass die Politik nun endlich gegen die Investoren vorgehe, so Dr. Hausweiler. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte im vergangenen Jahr angekündigt, dass die Betreiber von iMVZ ihr letztes schönes Weihnachten haben würden. „Lauterbach muss diesen Aussagen nun Taten folgen lassen“, so Dr. Hausweiler.
Mit der Bundesratsinitiative zur Einschränkung von Investoren, die im Juni beschlossen wurde, wurde nun zumindest schon einmal ein erster Schritt unternommen, auch wenn der fachliche Bezug, wahrscheinlich das K.O.-Kriterium für iMVZ, darin nicht berücksichtigt wurde. Nun liegt der Ball auf Seiten des Bundesgesundheitsministeriums auch dieses miteinzubeziehen.
Und so zeigt die Initiative auch, dass die Zusammenarbeit mit der Politik aktuell vor allem auf Länderebene funktioniert, in Nordrhein-Westfalen vor allem mit Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann, der aktuell an einer Bundesratsinitiative zur Änderung der Gewerbeordnung und damit Beschränkung von Aligner-Shops arbeitet. Zudem hatte er kürzlich noch einmal deutlich gemacht, dass die ambulante Versorgung in die Hände von Freiberuflern gehöre. „Das sind starke Worte“, kommentierte Dr. Ralf Hausweiler. Aber wenn das wirklich Bestand haben solle, dann müsse die Politik dafür auch einstehen. „Dann muss die Politik ihre Verantwortung für das Gesundheitswesen und ihre Verantwortung für die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen auch übernehmen.“
Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte derweil zu Beginn des Jahres noch angekündigt, das ambulante System stärken zu wollen, doch „davon sehe ich aktuell nichts“, resümierte Dr. Ralf Hausweiler. Bestes Beispiel sei die fehlgeleitete Gesundheitspolitik in Hinblick auf das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz.
Deutschland sei um die Einführung der PAR-Strecke europaweit beneidet worden, so Dr. Hausweiler, doch diese falle nur kurze Zeit nach ihrer Einführung dem Rotstift der Budgetierung zum Opfer. Dies sei nicht zuletzt deshalb absurd, wenn man bedenke, dass durch Prävention die GKV-Kosten für zahnmedizinische Leistungen seit Jahren rückläufig seien. „Wir sollen sparen, obwohl der zahnmedizinische Anteil der GKV-Kosten stetig fällt“, fasste es Vizepräsident Dr. Thomas Heil zusammen.
„Wir müssen Anwälte unserer Patienten sein und Zähne zeigen“, so Dr. Hausweiler. Das bedeute, Plakate in den Praxen aufhängen, aber vor allem Seite an Seite laut für den Erhalt dieser wichtigen Therapiestrecke einzustehen. „Ich bin immer noch tief beeindruckt davon, was wir in Nordrhein in Köln an unserem Demotag auf die Beine gestellt haben“, sagte Dr. Ralf Hausweiler in Bezug auf die Protestveranstaltung vor dem Dom.
Doch das dürfe nur der Anfang gewesen seien, die Zahnärzteschaft müsse auch in den kommenden Wochen und Monaten laut sein: „Was wäre, wenn nicht die Bahnen 50 Stunden stillstehen, sondern die Zahnarztpraxen?“ Auch Dr. Otkay Sunkur, Vorsitzender der Fraktion des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte, forderte, dass die Kollegenschaft aufwachen und sich enggieren müsse, bevor es zu spät sei.
Andreas Kruschwitz, Vorsitzender des Vorstands der KZV Nordrhein, machte die Forderung der Zahnärzteschaft an die Politik noch einmal deutlich: „Das Budget ist patienten- und versorgungsgefährdend. Das Budget muss weg!“ Ein entsprechender Antrag mit der Forderung zur Herausnahme der PAR-Leistungen aus der Budgetierung durch den Gesetzgeber wurde einstimmig von den Delegierten angenommen.
Ein weiteres Thema der Kammerversammlung war der GOZ-Punktwert. „Mehr als 90 Leistungen werden inzwischen in der GKV besser honoriert als in der GOZ“, berichtete Dr. Ralf Hausweiler. In Hinblick auf die Inflation müsse der Gesetzgeber endlich handeln und den Punktwert erhöhen. Gleichzeitig richtete der Kammerpräsident einen eindeutigen Appell an die Kollegenschaft, die Handlungsspielräume der GOZ zu nutzen. Dazu hatte die Kammer im Mai gemeinsam mit der ZA eG und der Zahnärztekammer Niedersachsen ein Whitebook herausgegeben.
Umzug, Fortbildung, Notfalldienste – in den vergangenen Monaten hat sich in der Kammer viel getan, während gleichzeitig der Haushalt stabilisiert werden konnte.