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Der schwierige Patient: Ausnahmesituation am Behandlungsstuhl

Die Bezirksstellenversammlung Düsseldorf thematisierte im Januar 2024 den richtigen Umgang mit psychisch alterierten Patienten, damit Zahnärzte auf außergewöhnliche Situationen vorbereitet sind.


Eine Patientin klammerte sich an ihre Tasche, wollte diese auf gar keinen Fall aus der Hand legen, auch nicht während der Zahnbehandlung. Auf Nachfrage, was sich in der Tasche verbirgt, zog sie plötzlich ein gigantisches Kruzifix hervor, das sie ihrem Zahnarzt entgegenhielt. Der besagte Zahnarzt war Dr. Harm Blazejak, Vorsitzender der Bezirksstelle Düsseldorf. Irgendwann, so Dr. Blazejak, tauchen Patienten wie diese in jeder Zahnarztpraxis auf. Nicht immer bleibt es dabei bei skurrilen Erlebnissen, schnell kann es auch für das gesamte Praxisteam gefährlich werden.

Aus diesem Grund lud Dr. Blazejak am 20. Januar zu einer Bezirksstellenversammlung nach Neuss ein, um zusammen mit geladenen Experten unter dem Titel „Der schwierige Patient“, Zahnärztinnen und Zahnärzte für den richtigen Umgang in diesen Ausnahmesituationen zu sensibilisieren.

Dass psychische Erkrankungen keine Einzelfälle sind, stellte Prof. Dr. Nikolaus Michael, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Facharzt für Neurologie, gleich zu Beginn in seinem Vortrag klar. Rund 25 Prozent der Menschen haben psychische Probleme. „In den meisten Fällen merken Sie aber gar nicht, dass der Patient eine psychische Erkrankung hat“, erklärte Prof. Michael.

 

Mund spielt zentrale Rolle für die Hirnentwicklung

In seinem Vortrag berichtete er über den komplexen Prozess von einer genetischen Prädisposition hin zu psychischen Symptomen. Insbesondere der Mund spiele bei der Entwicklung des Hirns von Anfang an eine zentrale Rolle, unter anderem durch die sogenannte orale Phase, das Stillen sowie die kognitive Entwicklung durch das Erlernen des Sprechens. Zudem sei die sensorische Empfindsamkeit von Mund und Zunge äußerst präzise.

Wissenschaftliche Studien zeigen außerdem einen klaren Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und der Gesundheit der Zähne. „Psychisch Erkrankte haben in der Regel eine schlechtere Zahngesundheit“, so Prof. Michael, „bei einem schlechten Gebiss ist es nahezu ausgeschlossen, dass die Person psychisch gesund ist.“

 

Hilfe bei starker Zahnarztangst notwendig

Psychosomatik der Zahnheilkunde betreffe in erster Linie Behandlungsangst, Parodontitis, Prothesenunverträglichkeit, Bruxismus, eine kraniomandibuläre Dysfunktion sowie das Burning Mouth Syndrome, so Prof. Michael. Die klassische Zahnbehandlungsangst sei eine Unterform der Angsterkrankung und lasse sich am besten durch Expositionstraining lindern, sprich, durch regelmäßige Besuche in der Zahnarztpraxis.

Um den Patienten den Besuch zu erleichtern, sollten Zahnärzte und Praxismitarbeitende behutsam vorgehen, nicht hektisch sein und jeden Schritt erklären. Auch Wertungen und Vorwürfe sollten vermieden werden. Gleichzeitig habe die Behandlung von Angstpatienten ohne Unterstützung auch ihre Grenzen: „Sie sollten nicht scheu sein und den Patienten eine Angstbehandlung empfehlen“, riet Prof. Michael den Teilnehmenden.

 

Problematische Patient nicht psychisch krank

Doch es nicht nur die Angst vor Behandlung, mit der sich Zahnärztinnen und Zahnärzte auseinandersetzen müssen. Anlehnend an die Patientin mit dem Kruzifix setzte Dr. Martin J. Gunga, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, in seinem Vortrag das richtige Verhalten in extremeren Situationen in den Mittelpunkt. Diese müssen aber nicht zwangsläufig Folge einer psychischen Erkrankung sein. „Nicht jeder problematische Patient ist psychisch krank und nicht jeder psychisch Erkrankte ist ein Problempatient“, stellte Dr. Gunga klar.

Zudem gebe es nicht den problematischen Patienten als Typ, vielmehr gehören laut Dr. Gunga immer zwei – Patient und Behandler – dazu. Deshalb sei die richtige Einstellung des Zahnarztes entscheidend. „Ein dreiminütiges Gespräch kann Ihnen drei Monate Dauerärger ersparen“, so Dr. Gunga.

Entscheidend sei dabei die richtige Gesprächsführung, nach der Smile-Methode: souverän, minimal, informiert, lösungsorientiert, einig/einverstanden. Souverän dürfe dabei jedoch nicht als arrogant missinterpretiert werden.

 

Bei einigen Patienten ist Vorsicht geboten

Problematische Patienten lassen sich in sechs Typen kategorisieren, wie Dr. Gunga berichtete. Der autoritäre Herrscher, der versucht einzuschüchtern, der Besserwisser, der Dauernörgler, der notorische Querulant, der Patient mit psychischen Problemen und der psychisch Kranke.

Die wenigsten dieser Patienten würden Probleme machen und die allerwenigsten ernsthafte Probleme. So falle der Patient mit psychischen Problemen in den meisten Fällen eher durch einen großen Redefluss auf, der sich meist gut moderieren lasse, indem man freundlich das Gespräch auf den Grund des Besuchs in der Zahnarztpraxis lenkt: Beschwerden im Mundraum.

Doch bei der Menge an Patienten, die eine Zahnarztpraxis aufsuchen, kämen die meisten Zahnärztinnen und Zahnärzte im Laufe ihrer Tätigkeit wahrscheinlich mit Ausnahmesituationen in Berührung. Zu den herausfordernden Patientengruppen zählt hier besonders der notorische Querulant, der im Umgang wegen seiner Rechthaberei vom Behandler sowohl Feingefühl als auch eine klare eigene Position erfordert.

 

Gewalt gegen Mediziner nimmt zu

Auch eine Minderheit der psychisch Erkrankten könne gefährlich werden; dazu zählen Fälle von Persönlichkeitsstörungen. Ist ein Patient paranoid, fühlt sich mitunter vom Zahnarzt bedroht oder verfolgt, sollte sofort Abstand genommen werden und Polizei sowie ein Anwalt eingeschaltet werden. Eine weitere potenziell gefährliche Gruppe besteht aus Menschen mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, die sich schnell mit Gewalt äußern kann.

Und diese Gefahr ist inzwischen sehr real: An jedem Arbeitstag werden in Deutschland Ärzte und Zahnärzte 2.800-mal beleidigt und 75-mal körperlich angegriffen. „In einer Bedrohungssituation sollten Konfrontationen unbedingt vermieden werden und die Behandler sofort auf Abstand gehen“, erklärte Dr. Gunga.

Deshalb müsse das gesamte Behandlungsteam auf diese Gefahr vorbereitet sein. Dazu zählt zum Beispiel das Anbringen eines Alarmknopfs am Empfang. In gemeinsamen Teamsitzungen sollten darüber hinaus Codewörter, Fluchtwege und Rückzugsmöglichkeiten thematisiert werden. Im konkreten Fall hilft am besten eine Ablenkung, beispielsweise durch Erschrecken, Schreien, Alarm oder Rufen nach virtuellen Kollegen, um dann schnell die Flucht zu ergreifen.

 

Prothesenunverträglichkeit: Nicht nur eine Kopfsache

Einem besonderen Fall in der Zahnmedizin widmete sich Prof. Dr. Wilhelm Niedermeier: der psycho-somatischen sowie der somato-psychischen Prothesenunverträglichkeit. Die Wissenschaft liefere bei diesem Thema klare Zahlen, die mitunter überraschend sein mögen: 68 Prozent der Prothesenunverträglichkeiten sind multikausal, nur 32 Prozent monokausal, berichtete Prof. Niedermeier.

Von der zuletzt genannten Gruppe sind wiederum 71 Prozent galvanisch belegt, zwölf Prozent allergisch und gerade einmal ein Prozent psycho-somatisch. Entsprechend ist in den seltensten Fällen eine Unverträglichkeit ausschließlich auf die Psyche zurückzuführen, vielmehr sind es oft mehrere Gründe.

„Man kann Patienten nicht in die Schublade stecken ‚Wenn’s brennt, dann spinnst du‘“, stellte Prof. Niedermeier klar. Probleme müssten ernst genommen und die Ursachen gründlich erforscht werden. Im Idealfall sollten Probleme durch den richtigen Einsatz von Prothesen von Anfang an vermieden werden. So sollte Zahnersatz auf Mindestanforderung reduziert, abnehmbarer Plattenersatz möglichst nicht verwendet werden und Abstützung des Zahnersatzes auf Implantaten erfolgen.

Darüber hinaus sollte metallfreier Zahnersatz bevorzugt oder zumindest nur Metalle von einem einzigen Legierungstypen verwendet werden. Des Weiteren lassen sich Unverträglichkeiten verhindern, indem eine etwaige Mundtrockenheit behandelt und großflächiger Plattenersatz nie intensiv getragen wird.

Zuletzt müssen Zahnärzte allergologische Diathesen beachten und psychologische Intoleranzen berücksichtigen. Das bedeutet, Prothesen nicht im psychischen Extremfall des Patienten einzusetzen, zum Beispiel direkt nach einem Unfall oder einem persönlichen Schicksalsschlag.

 

Berufsrecht: Wann Zahnärzte eine Behandlung ablehnen können

Carolin Drissen, stellvertretende Leiterin der Rechtsabteilung der Zahnärztekammer Nordrhein, blickte mit den Teilnehmenden aus berufsaufsichtsrechtlicher Perspektive auf das Thema. Die wichtigste Botschaft: Zahnärzte haben zwar keine generelle Behandlungspflicht, dürfen Patienten aber auch nicht willkürlich oder aus diskriminierenden Gründen ablehnen. Für Vertragszahnärzte gelten noch besondere Regelungen, zu denen die KZV NR Auskunft geben kann.

Eine Ablehnung einer Behandlung komme nach der Berufsordnung der ZÄK NR für einen Zahnarzt beispielsweise dann in Betracht, wenn er diese nicht gewissenhaft und sachgerecht durchführen kann. Dies sei dann der Fall, wenn er die notwendigen Sachkenntnisse nicht besitze oder auch wenn eine entsprechende Praxisausstattung nicht vorhanden sei.

Aber auch Sprachbarrieren oder eine unzureichende Mitwirkung des Patienten bei der Anamnese, aus der sich Gefahren von Komplikationen ergeben könnten, seien mögliche Gründe. Fachlich nicht indizierte Behandlungen, deren Durchführung der Patient ausdrücklich wünscht, können und sollten dringend abgelehnt werden; eine wirksame Einwilligung des Pateinten sei in diesen Fällen nicht möglich.

Dabei gab Frau Ass. iur. Drissen auch den Hinweis, dass in Einzelfällen die Verweisung an einen Facharzt der richtige Weg sei. Beleidige oder bedrohe ein Patient den Zahnarzt oder sein zahnärztliches Personal könne der Zahnarzt auf Grund eines gestörten Vertrauensverhältnisses die (Weiter-)Behandlung ablehnen. Man müsse allerdings bei einer Ablehnung immer den konkreten Einzelfall betrachten. Somit sollte ab dem Moment, in dem der Zahnarzt ein schlechtes Gefühl verspüre, dringend der Sachverhalt dokumentiert werden.

Unberührt davon bleibt jedoch die Pflicht des Zahnarztes, in Notfällen zu helfen. Bei Unsicherheiten stehe die Rechtsabteilung der Zahnärztekammer ihren Mitgliedern gerne beratend zur Seite. Im Falle einer Kassenzulassung sollte vor der Ablehnung eines Patienten die KZV NR kontaktiert werden.

 

Vom schwierigen Patienten zur schwierigen Politik

Zum Schluss der Veranstaltung gab Kammerpräsident Dr. Ralf Hausweiler noch einmal einen Einblick in die berufspolitischen Herausforderungen der Kammer. „Wir sprechen über schwierige Patienten; der schwierigste Patient, den ich kenne, ist Herr Lauterbach“, sagte Dr. Hausweiler. Lauterbach fahre die ambulante Versorgung vor die Wand, Stichwort Gesundheitskioske und kommunale MVZ – der Beginn einer Staatsmedizin?

Auch die Budgetierung bleibe ein Problem, weshalb der Kammerpräsident die Teilnehmenden noch einmal dazu animierte, sich an der Kampagne „Zähne zeigen“ zu beteiligen. „Dieses Jahr wird entscheidend sein, um die ambulante Versorgung aufrecht zu erhalten“, so Dr. Hausweiler.

Eine weitere Baustelle ist die GOZ. Ein von der BZÄK beauftragtes Gutachten schätzt die Aussicht auf Erfolg einer Verfassungsklage sehr niedrig ein, da offenbar trotz ausbleibender Erhöhung und weiterer Probleme wie der Inflation ein wirtschaftlicher Betrieb einer Zahnarztpraxis noch möglich sei, so der Verfassungsrechtler Prof. Gregor Thüsing. „Auf gut Deutsch: Solange wir nicht pleite sind, muss die GOZ offenbar nicht erhöht werden“, fasste Dr. Hausweiler das Problem zusammen.

Das sei mehr als zynisch, so der Kammerpräsident. Neuer Ansatz der BZÄK für ein rechtliches Vorgehen sei nun, dass der BEMA in mehr als 50 Prozent der Positionen besser vergütet als die GOZ sei. Diese deutlich unterschiedliche Bewertung von vergleichbaren Leistungspositionen nach BEMA und GOZ indiziere eine Missachtung des Grundsatzes der leistungsadäquaten Vergütung.

 

Politische Herausforderungen: Bürokratie, Vergewerblichung und Fachkräftemangel

Gerade auf Landesebene hat die Kammer viel erreicht. So gilt zum Beispiel die abweichende Dokumentation (mehr Informationen hier) nur in Nordrhein. „Das ist ein wichtiger Schritt zum Bürokratieabbau, für den wir in ganz Deutschland beneidet werden“, so Dr. Hausweiler.

Ein weiterer Erfolg ist die seit sieben Jahren laufende Ausbildungskampagne der Kammer, die zuletzt rund 2,7 Millionen Euro Nutzer bei TikTok erreichen konnte. Seit 2024 wird diese Kampagne bundesweit durch die BZÄK unter nordrheinischer Federführung fortgesetzt. „Diese Kampagne ist eine Erfolgsgeschichte aus Nordrhein“, so Dr. Hausweiler, „wo wären wir in Zeiten des Fachkräftemangels in unseren Praxen ohne die rund 700 zusätzlichen Auszubildenden, die auf diesem Weg jährlich für den Beruf begeistert werden.“

 

Text/Bild: Daniel Schrader

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