Die Delegierten folgten damit dem entsprechenden Vorstandsbeschluss. Weitere Themen waren ein Rückblick auf die Legislatur sowie die desolate Gesundheitspolitik von Lauterbach.
Es gibt komfortablere Situationen, um in ein Amt zu starten. Als Dr. Ralf Hausweiler und Dr. Thomas Heil vor vier Jahren das Amt des Präsidenten beziehungsweise Vizepräsidenten übernahmen, gab es keine Zeit für eine ruhige Einarbeitung. Zunächst die desolate Haushaltslage, wenige Wochen später die Corona-Pandemie – die Herausforderungen waren immens.
„Es liegen vier bewegte Jahre hinter uns“, resümierte Kammerpräsident Dr. Ralf Hausweiler bei der 10. Kammerversammlung am 29. Juni in Neuss. Diese und viele weitere Aufgaben konnte das Duo in dieser Zeit meistern, sodass nun auch Spielraum besteht, die Mitgliedsbeiträge zu senken. Doch gleichzeitig hat sich an anderer Stelle eine gewaltige neue Herausforderung ergeben: die Politik von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Aber dazu später.
Im Jahr 2020 lagen die finanziellen Rücklagen der Kammer unter dem Mindestwert von sieben Millionen Euro, der Haushalt war geprägt von Defiziten, der Handlungsdruck für die Hausspitze immens. „Deshalb hatten wir die Finanzen damals zur Chefsache erklärt“, so Dr. Hausweiler, der gleichzeitig das Amt des Finanzreferenten übernommen hatte.
In der Zwischenzeit wurde dieser Wert für die Mindestrücklage nicht nur erreicht, sondern mit Rücklagen von rund zehn Millionen Euro weit übertroffen. Nach Jahren der Defizite, schreibt die Kammer wieder konstant schwarze Zahlen.
Deshalb hat die Kammerversammlung nach Beschluss des Vorstands eine Reduktion der Mitgliedsbeiträge um drei Prozent verabschiedet. Die Reduktion soll voraussichtlich ab dem 1. April 2025 gelten.
Grundlage dieser positiven Entwicklung waren unter anderem eine konsequente Haushaltspolitik mit Einsparungen sowie der Umzug in die nicht nur moderneren, sondern vor allem deutlich günstigeren Räume in Neuss, aber auch die Modernisierung des Fortbildungsinstituts. 150 neue Referenten, zahlreiche neue Kursangebote, viele davon online oder hybrid, haben dafür gesorgt, dass die Teilnehmendenzahlen inzwischen nicht nur das Vorpandemieniveau erreicht, sondern übertroffen haben.
Doch – das Wort Vorpandemie lässt es erahnen – es gab auch Herausforderungen, die mit Beginn der Legislaturperiode nicht zu erahnen waren. Die größte war das Coronavirus. Binnen kürzester Zeit musste die Kollegenschaft mit dieser Krise umgehen. Aber mit Erfolg: Gerade einmal 0,34 Prozent an Coronafällen als Berufskrankheit wurden in der Zahnmedizin laut der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege festgestellt, deutlich weniger als in der Humanmedizin, in der Pflege oder in Behörden. „An dieser Stelle waren wir Klassenbeste“, resümierte Dr. Hausweiler.
Mehr als 150 Änderungen der Coronaverordnungen stellten mitunter über Nacht den gesamten Praxisablauf auf den Kopf. Einer der wichtigsten Erfolge war, dass trotz des fehlenden Rettungsschirms der Politik offengehalten werden konnten. Die Kammer half zudem durch umfassende Informationen, tagesaktuell über Newsletter, die neu gestaltete Webseite und Social Media. Gleichzeitig agierte man gegenüber der Politik für angemessene Regelungen – und gegen grobe Fehler wie die Auflistung von Zahnarztpraxen in einer Reihe mit Friseursalons und Tattoostudios.
Ebenso bei der Flutkatastrophe 2021 war das Krisenmanagement der Kammer gefragt. „Während der Staat es bis heute nicht schaffte, Hilfen auszuzahlen, half die Kammer schnell und unbürokratisch“, fasste Dr. Hausweiler zusammen. Binnen weniger Tage organisierte die Kammer zusammen mit der KZV Nordrhein und dem Hilfswerk Deutscher Zahnärzte eine Spendenaktion, bei der mehr als eine Million Euro zusammenkamen. Auch Andreas Kurschwitz, Vorsitzender des Vorstands der KZV Nordrhein, lobte das gemeinsame Agieren. Man habe eine schnell und vor allem nachhaltige Hilfe für die Praxen binnen kürzester Zeit auf die Beine stellen können.
Aber auch abseits der großen Katastrophen, hat sich in der Kammer in den vergangenen Jahren viel getan. Dem Dauerbrenner-Thema Fachkräftemangel begegnet die Kammer mit einer umfassenden Ausbildungskampagne, wie Vizepräsident Dr. Thomas Heil den Delegierten berichtete. Seit diesem Jahr wird die in Nordrhein gestartete Kampagne von der BZÄK finanziert und läuft bundesweit.
Zwei Millionen Nutzer konnten in diesem Jahr bereits bei TikTok mit der Kampagne erreicht werden. Seit Kampagnenbeginn haben sich die Ausbildungszahlen in Nordrhein um durchschnittliche 25 Prozent gesteigert. „Wo wären wir ohne jede dritte ZFA, die durch die Kampagne in unsere Praxen gekommen ist und uns sonst fehlen würde“, sagt Dr. Heil. In Folge der Kampagne konnte die Ausbildungszahl von 1.700 im Jahr 2017 auf mehr als 2.300 im Jahr 2023 erhöht werden.
Darüber hinaus engagiert sich die Kammer bei verschiedenen Fachkräfteinitiativen und organisierte unter anderem im April einen Informationstag für potentielle Auszubildende in Aachen. Der Delegierte Stefan Piepiorka lobte in diesem Zusammenhang auch die Vergütungsempfehlung für ZFA, die durch den Vorstand 2022 auf den Weg gebracht wurde und dem Fachkräftemangel entgegne.
Mit den ersten erfolgreichen und von allen Teilnehmenden gelobten praktischen Abschlussprüfungen, dem Start des Digitalen Ausbildungsvertrags und dem Digitalen Berichtsheft, das in den Startlöchern steht, wurden viele Projekte in den vergangenen Jahren im Bereich Ausbildung modernisiert. Dr. Oktay Sunkur, Fraktionsvorsitzender des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte in Nordrhein, lobte die Maßnahmen als ein vorbildliches Beispiel für eine Digitalisierung. „Wir haben viel erreicht, trotz Pandemie, trotz Staat, trotz eines überforderten Bundesgesundheitsministers“, fasste Kammerpräsident Dr. Hausweiler die verschiedenen Projekte zusammen.
Doch genau dieser Gesundheitsminister verschlechtert zunehmend die gesundheitliche Versorgung in Deutschland. Ob Gesundheitskioske oder (Pflege-)Bürgerversicherung, Lauterbach nehme sich mit seiner Idee einer Staatsmedizin Systeme ehemaliger sozialistischer Staaten oder das NHS im Vereinigten Königreich zum Vorbild, so Kammerpräsident Dr. Hausweiler. Insbesondere der oft zitierte NHS ist geprägt durch eine substanzielle Unterversorgung, in der sich zwölf Millionen Menschen aus Verzweiflung selbst die Zähne behandeln, weil sie keinen Termin bekommen. „Ideologie hat noch keinen Patienten geheilt“, resümierte Dr. Ralf Hausweiler, „das tun wir einzig und allein in unseren Praxen. Aber ambulante Behandlung scheint im Wortschatz von Lauterbach nicht vorzukommen.“
Gleichzeitig schaue Lauterbach tatenlos einer Vergewerblichung der Zahnmedizin zu. Fremdinvestoren betreiben trotz mehrmaliger Ankündigungen weiterhin Praxen und auch bei den Aligner-Shops hat Lauterbach nichts getan. Auf das Problem der zahlreichen Fehlbehandlungen angesprochen erwiderte der Bundesminister schmallippig, er sei nicht zuständig. Dem Engagement der Zahnärztekammer ist es zu verdanken, dass das Thema weiterhin auf der medialen und politischen Tagesordnung ist und der Betrieb der Smile-Shops zunehmend schwerer wird.
So ging die Kammer einerseits rechtlich gegen kooperierende Zahnärzte vor, während andererseits Kammerpräsident Dr. Hausweiler in der Öffentlichkeit vor den Auswirkungen warnte. Darüber berichtet wurde unter anderem in der Rheinischen Post, im Business Insider, bei 1Live und zuletzt in einem ausführlichen Beitrag im WDR. Erst kürzlich lobte die Landesregierung das Engagement der Kammer gegen die Anbieter.
„Die Gesundheitsversorgung gehört nicht in die Hand von Spekulanten, nicht in einen Kiosk“, stellte Dr. Hausweiler noch einmal in seiner Rede klar. Und es zeichnen sich Erfolge ab: So meldete die Straumann-Gruppe, die hinter DR Smile steckt, erst zu Beginn des Jahres einen Gewinneinbruch, wie das Onlineportal muula.ch berichtete.
Die Vergewerblichung ist jedoch bei weitem nicht das einzige Problem, das Lauterbach ignoriert. Das ist zum einen die GOZ, deren Punktwert seit 1988 nicht angepasst wurde. Hier hat die Kammer mit dem Seminar „Make it simple“ zu Beginn des Jahres rund 1.800 Kolleginnen und Kollegen zur Nutzung der Handlungsspielräume geschult. „Ich habe mich für die Zahnärztekammer Nordrhein gefreut, dass die Kurse extrem gut besucht sind und dass die Ergebnisse zum Tragen kommen“, sagte der ehemalige Kammer- und BZÄK-Präsident Dr, Peter Engel, „denn wir müssen die GOZ nutzen, wir haben keine andere Chance.“
Zum anderen bleibt der Bürokratiewahnsinn ein drängendes Problem. „51 Tage pro Jahr beschäftigen wir uns mit Verwaltungsarbeit, 24 Stunden pro Woche im Durchschnitt beträgt der Bürokratieaufwand in den Praxen“, berichtete Dr. Hausweiler. Das sorge nicht nur dafür, dass sich junge Zahnärztinnen seltener niederlassen wollen, sondern wirke wie ein Brandbeschleuniger auf den Fachkräftemangel. „Das Maß ist voll, wir brauchen mehr Zeit für unsere Pateinten durch weniger Bürokratie“, so Vizepräsident Dr. Heil. „In Deutschland ist das Gleichgewicht zwischen Menschen, die produktiv tätig sind und denen, die in Behörden sitzen, ist verloren gegangen“, ergänzte Martin Hendges, Vorsitzender des Vorstands der KZBV.
Um das Problem anzugehen, hat die Kammer konkrete Vorschläge an des Landesgesundheitsministerium gesandt, zum Beispiel die Zusammenlegung verschiedener Begehungen sowie die Ausweitung der Modelle zum Infektionsschutz auf ganz Nordrhein. Die Politik wird jedoch nicht müde, neue Verordnungen auf den Weg zu bringen. Jüngster Vorschlag des Bundesumweltministeriums: Eine Änderung der Gewerbeabfallverordnung, die das Sammeln von Abfällen in acht verschiedenen Behältern vorsieht, ebenso wie das Wiegen und Dokumentieren für Begeher.
Dr Hausweiler hierzu: „Dem Bundesumweltamt haben ich zunächst erklärt, dass ich bezweifele, dass eine Gewerbeabfallverordnung für Zahnärzte gilt, weil per Definitionen die Tätigkeit in Zahnarztpraxen kein Gewerbe darstellt und daher auch nicht der Gewerbeordnung unterliegt. Hilfsweise würden wir wegen der geringen Mengen an Abfall erst vom Greifen einer solchen Verordnung bei über 50 Vollzeitäquivalenten ausgehen, fünf Kilogramm Abfall als Grenze pro Woche sollten durch zehn Kilogramm Abfall pro Tag pro Fraktion ersetzt werden und kommunale Abfallentsorger würden entsprechend auch ohne Nachweise ausreichend sein! Begehungen seien daher überflüssig!“
Überhaupt werde ein radikaler Ansatz im Bürokratieabbau benötigt. Was nicht wissenschaftlich begründet sei, gehöre abgeschafft. Die Kammerversammlung forderte deshalb in einem gemeinsamen Antrag an die Politik einen Bürokratieabbau nach dem Credo „One in, two out“, also einen Wegfall von zwei Verordnungen für jede neue, um endlich an einer Entlastung des Dokumentationswahnsinns zu sorgen. „Die Politik in Nordrhein ist nicht, zu jammern, sondern wir zeigen, was falsch läuft und suchen nach Lösungen“, sagte die Delegierte Annabelle Dalhoff-Jene.
Entsprechend war der Bürokratieabbau nicht die einzige Aufgabe, die die Delegierten der Politik auf den Weg gaben. In insgesamt neun Anträgen forderte die Kammerversammlung einen Kurswechsel der Politik zur Stärkung der Freiberuflichkeit, einer Entbudgetierung, einer nachhaltigen Digitalisierung und vor allem eine Abkehr von planwirtschaftlichen Steuerungstendenzen.
Autor: Daniel Schrader