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„Kindesmisshandlung und häusliche Gewalt": Seminar gibt Handlungsssicherheit

Immer häufiger werden Zahnärztinnen und Zahnärzte in NRW mit Gewalt oder Vernachlässigung konfrontiert. In NRW wurden im Jahr 2022 insgesamt 56.914 Fälle von Kindeswohlgefährdung eingeleitet.


Nicht erst seit den Missbrauchskomplexen in Lüdge, Bergisch Gladbach oder Wermelskirchen müssen sich Medizinerinnen und Mediziner in Nordrhein-Westfalen mit dem Kinderschutz und häuslicher Gewalt beschäftigen. Besonders die Vernachlässigung ist regelmäßiges Thema in Zahnarztpraxen. Doch wie ist die richtige Vorgehensweise? Und welche Rechte und Pflichten sind zu beachten?

350 Teilnehmer nutzen bereits eine kostenlose Veranstaltung um Sicherheit im Umgang mit Kindesmissbrauch und Gewalt zu gewinnen. „Es ist mir eine Herzensangelegenheit, dass wir Zahnärztinnen und Zahnärzte mehr über das Thema lernen“, sagt der Präsident der Zahnärztekammer Dr. Ralf Hausweiler bei der Eröffnung der großen KHI-Fortbildung. Der Grund ist einleuchtend. „60 Prozent der Befunde als Folgen häuslicher Gewalt sind im Mund- und Gesichtsbereich sichtbar“, erklärt Dr. Hausweiler. Daher komme gerade der Zahnärzteschaft eine hohe Bedeutung zu. Das Ziel der Schulung ist es, Zahnärztinnen und Zahnärzten Handlungssicherheit beim Thema „Kindesmisshandlung und häusliche Gewalt“ zu geben.

Der nächste Termin „Kindesmisshandlung und häusliche Gewalt“ mit Prof. Dr. Banaschak findet am 15.05.2024 von 15-17 Uhr statt. Der Kurs ist sowohl für Zahnärztinnen und Zahnärzte als für Praxismitarbeitende kostenfrei. Zur Anmeldung

 

Kindesmissbrauch wächst

Rund drei Mal am Tag wenden sich inzwischen Medizinerinnen und Mediziner ratsuchend an das Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen. Die Zahlen sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Das Thema häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch ist daher ein immer wichtigeres Thema, gerade für Zahnärztinnen und Zahnärzte. Denn eine Verletzung an Kiefer oder Zähnen heilt nicht von allein. Auch die Vernachlässigung kann sehr gut in der Zahnarztpraxis entdeckt werden. „Eine Karies verschwindet nicht, ein Hämatom schon“, erklärt Prof. Dr. Sibylle Banaschak, Leiterin des Kompetenzzentrums Kinderschutz im Gesundheitswesen NRW, das Teil der Rechtsmedizin an der Universität Köln ist.

Sie nennt das „dentale Vernachlässigung“ und schreibt dieser eine Schlüsselrolle bei der Entdeckung von Gewalt und Vernachlässigung von Kindern zu. Daher sei es sehr wichtig, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte sich über das Thema informieren und vor allem wissen, wie sie damit richtig umgehen.

 

Lücke im Gesetz

Dazu gehört auch Rechtssicherheit, und hier existierte bisher eine Lücke im Heilberufsgesetz. Auf Beitreiben der Zahnärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe wurden Zahnärztinnen und Zahnärzte aber jetzt mit in den §32 Abs 1  aufgenommen. In diesem waren bisher nur Ärztinnen und Ärzte zum interkollegialen Austausch befugt, wenn sich „der Verdacht ergibt, dass Minderjährige von physischer, psychischer oder sexualisierter Gewalt oder Vernachlässigung betroffen sind“, wie es im Gesetz heißt. Hier fehlten bisher die Zahnärztinnen und Zahnärzte. „Unglaublich, denn für mich sind Zahnärzte natürlich auch Ärzte“, kommentiert Prof. Banaschak. Es sei für sie nicht nachvollziehbar gewesen, dass Zahnärzte bisher nicht eingeschlossen waren. Umso besser, dass diese Lücke nun geschlossen wird. Derzeit ist das neue Gesetz noch nicht verabschiedet, befindet sich aber auf der Zielgeraden.

 

Austausch von Informationen

Zahnärztinnen und Zahnärzte haben dann die Möglichkeit, sich untereinander, aber auch mit dem Hausarzt oder einer Klinik auszutauschen. So kann man schnell mehr Belege für eine Vernachlässigung oder Gewalt gegen Kinder bekommen. „Ich rate dann immer erst mit den Eltern zu sprechen“, sagt Prof. Banaschak. So finde man schnell heraus, ob die Eltern Teil des Problems sind. Sollte das so sein, kann man sich bei  der Beratungsstelle im Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen über das weitere Vorgehen informieren oder auch direkt mit dem Jugendamt Kontakt aufnehmen.

 

Keine Pflicht

„Es gibt keine gesetzliche Meldepflicht bei Anhaltspunkten einer Kindeswohlgefährdung, jedoch eine Meldebefugnis“, erläutert Prof. Banaschak die Situation. Auch muss das zahnärztliche Behandlungsteam keine Diagnose zu Kindesmisshandlung oder -vernachlässigung stellen. Der gesetzliche Auftrag, eine Kindeswohlgefährdung festzustellen liegt beim Jugendamt.

 

Großes Interesse

Rund 350 Zahnärztinnen und Zahnärzte folgten dem Vortrag Online oder in Präsenz. Artur Scheffzyk war der einzige Mann vor Ort. Anlass war ein konkreter Verdacht bei einem Kind, der ihn sehr lange beschäftigt hatte. „Zum Glück bestätigte sich mein Verdacht am Ende nicht“, erzählt er. Aber für die Zukunft sei er nun besser gewappnet. Auch Hanna Bötter möchte sich für die berufliche Zukunft wappnen. Sie ist frisch von der Universität gekommen und steigt gerade in den Beruf ein. „Weil es kein Thema an der Uni war, wollte ich mich hier informieren“, sagt sie. Sie ist sicher, dass es für den Beruf wichtig ist. Auch wenn sie froh sei, bisher keinen konkreten Fall erlebt zu haben. „Es war eine eindrucksvolle Erinnerung und auch Ermahnung an uns Zahnärztinnen und Zahnärzte“, fasst sie ihre Eindrücke zusammen. Anders ist es bei Direm Ilter, die in der Uniklinik Düsseldorf als Zahnärztin tätig ist. Sie ist für die Traumaversorgung zuständig und hat immer wieder mal mit einem Verdacht zu tun, selbst am Vortragstag: „Wahrscheinlich doppelter Kieferbruch“, und womöglich durch häusliche Gewalt verursacht. „Wohin leite ich die Patientinnen, wie führe ich das Gespräch und was darf ich austauschen?“, seien wichtige Fragen sagt Ilter.

 

Richtig dokumentieren

Genauso wichtig ist die richtige Dokumentation. Hier bietet die Zahnärztekammer einen speziellen Fragebogen, damit die Befunde auch rechtssicher dokumentiert werden können. Mit dem Wissen aus der Fortbildung und dem forensischen Befundbogen ist man dann für solche Fälle gewappnet. Was allerdings nicht Teil des Kurses sein konnte: wie Zahnärztinnen und Zahnärzte persönlich mit einem solchen Erlebnis umgehen. Bei aller Professionalität: Auch und gerade bei Kindern beschäftigen und belasten die Fälle meist.

Autor: Jens Gerke


Weitere Informationen

Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen (KKG)

Bei Fragen rund um die Thematik des medizinischen Kinderschutzes wenden Sie sich an das Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen NRW.

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