Wenn über Flucht und Migration gesprochen wird, dann aktuell vor allem im Hinblick auf Kosten und Missstände. Doch die Integration in den Arbeitsmarkt läuft weitaus besser als oft angenommen. Vielmehr bieten die Menschen eine enorme Chance in Hinblick auf den Fachkräftemangel in den Praxen. Doch auch hier gibt es eine altbekannte Hürde: die Bürokratie.
Seit seiner Kindheit hat Reza Karamijah einen konkreten Berufswunsch: Zahnarzt zu werden. Woher dieser Wunsch kam, weiß er selbst nicht mehr. Denn seine Eltern – ein Lehrer und eine Hausfrau – haben nichts mit Zahnmedizin am Hut. Zwei Semester studierte er schließlich im Iran. 2022 musste er nach Deutschland fliehen. Danach: Reset und Neustart. Doch sein Traum besteht weiter. Aktuell lässt er sich in der Praxis von Kammerpräsident Dr. Ralf Hausweiler und Dr. Constantin Hartwig zum ZFA ausbilden. Im Anschluss will er wieder studieren.
Die Arbeit in der Praxis macht ihm Spaß. Innerhalb von sieben Monaten lernte er Deutsch und beherrscht die Sprache inzwischen auf dem Niveau C1, eine Stufe unter dem Niveau eines Muttersprachlers. Zum Vergleich: Wer in Deutschland Englisch bis zum Abitur lernt, erhält nach acht, respektive neun Jahren Unterricht das Sprachniveau B2, eine Stufe unter den Deutschkenntnissen von Reza Karamijah.
Hilfe bei der Eingewöhnung in seiner neuen Heimat hat der 22-jährige Iraner von seinem Bruder erhalten, der seit zehn Jahren in Düsseldorf wohnt und bei einem Autohersteller arbeitet. Doch Reza Karamijah bringt auch den nötigen Biss mit, seine Ziele trotz aller Widrigkeiten zu erreichen.
Damit steht er nicht allein da, wie Zahlen der Arbeitsagentur Düsseldorf zeigen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten unter den Geflüchteten nimmt stetig zu, viele davon arbeiten im Gesundheits- und Sozialwesen. Unter den Auszubildenden ist dieses Jobsegment sogar Spitzenreiter. Das ändert nichts an den gesellschaftlichen Herausforderungen im Zuge der Integration vieler Menschen. Aber es zeigt, dass viele Debatten verkürzt und populistisch geführt werden.
Auch für Reza Karamijah hat das Leben in Deutschland Kehrseiten. Einerseits persönliche. Während der derzeitigen Auseinandersetzungen im Nahen Osten musste er hoffen, dass seiner Familie nichts geschieht. „Zeitweise hatten wir keinen Kontakt, das war eine schwierige Situation für mich“, berichtet er. Glücklicherweise sei jedoch niemandem etwas passiert.
Auf der anderen Seite stehen viele Hürden bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Bürokratische Auflagen wie Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis werden oftmals nur in langatmigen Verfahren vergeben. „Viele Geflüchtete sitzen in den Unterkünften, möchten arbeiten, aber sie dürfen es nicht“, berichtet der 22-Jährige. Neben der Hilfe durch die Arbeitsagentur habe er auch Unterstützung durch seine Arbeitgeber Dr. Hartwig und Dr. Hausweiler erhalten. Und da wiederum zeigt sich die Bedeutung der Praxen bei der Integration auf den Arbeitsmarkt.
„Die meisten Praxen haben eine überschaubare Anzahl an Beschäftigten“, sagt Oliver Kanthak, Geschäftsführer des Verbands der Freien Berufe NRW. „Durch diese familiären Strukturen und das persönliche Engagement werden Mitarbeitende viel schneller integriert, man unterstützt sich gegenseitig.“ Ähnlich sieht es Reza Karamijah „Einen bedeutenden Teil meines Erfolgs verdanke ich Dr. Hartwig“, erzählt er. Ohne diese Unterstützung wäre seine Integration weitaus schwieriger gewesen.
Der Einsatz der Zahnärzteschaft sei vorbildlich, resümiert Oliver Kanthak, das gelte sowohl in den einzelnen Praxen als auch durch innovative Projekte der Zahnärztekammer Nordrhein wie die Schulung von Müttern mit Migrationsgeschichte zur Fachkraft für die Aufbereitung zahnmedizinischer Instrumente.
Und diese Maßnahmen sind auch notwendig. 2025 hat der Bedarf an Arbeitskräften in der Zahnmedizin laut Zahlen einer Studie der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände erstmals das Angebot übertroffen. Und diese Kluft zwischen Angebot und Nachfrage wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Ein Problem, das sich ohne Migration nicht lösen lassen wird. Aber das haben viele Zahnärztinnen und Zahnärzte bereits erkannt. Inzwischen haben rund die Hälfte aller ZFA-Auszubildenden in Nordrhein eine Migrationsgeschichte, doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Zudem hat die Menge an Auszubildenden mit mehr als 2.500 ein Allzeit-Hoch erreicht, auch dank der bundesweiten Ausbildungskampagne, initiiert und koordiniert aus Nordrhein.
Reza Karamijah ist einer dieser 2.500. Zumindest noch – denn Anfang des kommenden Jahres steht bereits seine Prüfung an, da er die Ausbildung verkürzt hat. Im Anschluss möchte er wieder Zahnmedizin studieren, am liebsten in Münster. Über ihm hängt dabei jedoch vorerst weiterhin das Damoklesschwert eines befristeten Aufenthaltstitels. Ob er irgendwann eine eigene Praxis eröffnen möchte? „Das weiß ich noch nicht, ich denke von Schritt zu Schritt.“ Und der nächste Schritt wäre die verspätete Erfüllung seines Kindheitstraums: die Arbeit als Zahnarzt.
Autor: Daniel Schrader