„Dieser Zahn muss entfernt werden.“ Heute im Zeitalter der lebensbegleitenden Zahnprophylaxe hört der Patient diesen Satz viel seltener als z. B. vor zwei Jahrzehnten – und dennoch: Nicht jeder Zahn kann erhalten werden.
Beispiel Parodontitis
Eine Parodontitis entwickelt sich – von seltenen Ausnahmen abgesehen – langsam über viele Jahre. Sie beginnt immer mit einer harmlosen Zahnfleischentzündung. Sinn macht es, schon den Anfängen zu wehren. Denn mit Fortschreiten der entzündlichen Erkrankung des Zahnhaltegewebes geht fortlaufend zahnstützendes Knochengewebe mit Haltefasern und Zahnwurzeloberfläche verloren. Je später man mit einer ursachengerechten Behandlung beginnt, desto schwieriger wird die Prognose. Sind schon erste Zahnlockerungen zu sehen, ist die Erkrankung meist weit fortgeschritten. Deutliche Lockerungen der Fontzähne oder auch schon Knochenverlust bis hin in die Teilungsstelle der Wurzeln der Seitenzähne können nur im Ausnahmefall und dann nur mit extremem Aufwand zu einer dauerhaften Zahnerhaltung führen. Und manchmal macht die verzweifelte Extremerhaltung auch keinen Sinn.
Heute denkt der Zahnarzt eher strategisch. Überlässt man einen parodontal zerstörten Zahn seinem kommenden Schicksal, verursacht er einen unwiederbringlichen Schaden an den Nachbarzähnen. Auch diese Zähne werden dann locker und am Ende droht der vollständige Zahnverlust. Hier stellt sich die Frage, wie viel Wert dieser Zahn im noch vorhandenen Gebiss darstellt. Das Ziel muss definiert werden: Dies kann ein lebenslanger festsitzender Zahnersatz sein oder eine wertvolle Stütze für einen herausnehmbaren Ersatz – die Entscheidung liegt immer im Einzelfall begründet. Ist der Zahn für das erklärte Ziel wichtig, sollte auch kein Aufwand zu groß sein. Zum Beispiel kann man eigentlich zerstörte Seitenzähne durch Entfernung der am meisten betroffenen Zahnwurzel – also eine Halbierung des Zahnes – oft noch über viele Jahre retten. Ist der Zahn für das erklärte Ziel eher unwichtig, ist es meist besser, den Zahn zu entfernen und die Zahnerhaltung auf alle anderen Zähne zu konzentrieren.
Beispiel Karies
Auch vom ersten kleinen Zahnloch bis zur schmerzhaften Entzündung des zahninneren nervhaltigen Zahnmarks ist es häufig ein jahrelanger Weg. Deshalb sollte schon frühzeitig Karies behandelt werden, um die Ausbreitung ins Zahnmark zu stoppen. Ist das Zahnmark jedoch schon betroffen und entzündet, bleibt meist nur die Wurzelkanalbehandlung. Diese kann heute in nahezu perfekter Präzision durchgeführt werden. Neuartige Instrumente aus Nickel-Titan, elektronische Messgeräte für die inneren Zahnmarkkanäle, verbesserte Röntgentechnik, bessere Wurzelfüllmaterialien und Fertigkeiten des Zahnarztes bringen mittlerweile so gute Resultate, dass heute viel mehr Zähne erhalten werden können. Die allerletzte Erhaltungsmaßnahme, eine chirurgischen Wurzelspitzenresektion mit Entfernung der Entzündung an der Wurzelspitze, hat mittlerweile eine schlechtere Prognose als die perfekte Wurzelkanalbehandlung. Die Zahnentfernung sollte immer die letzte Alternative darstellen – zumindest sollte intensiv über die Wertigkeit des Zahnes nachgedacht werden.
Die Lösung der Probleme kann nur bedeuten: Im Idealfall versuchen Patient und das Team des Zahnarztes ein Leben lang, die erste Karies und die erste Zahnfleischentzündung zu verhindern. Haben die Zähne jedoch schon viel „erlebt“, ist eine sehr engmaschige Betreuung in der Zahnarztpraxis vonnöten – nur durch Ausschalten der Ursachen verhindert man die Neuerkrankung.
Dr. med. dent. Jürgen Zitzen