Medikamente, die dem Heilen helfen, haben oft auch unerwünschte Nebenwirkungen. So können neue Arzneimittel für den Knochenstoffwechsel Kieferknochen zerstören. Gemeint ist die Medikamentengruppe der Bisphosphonate. Das sind Tabletten oder Wirkstoffe in Spritzen, die seit vielen Jahren bei Osteoporose und nach chirurgischen Eingriffen von bösartigen Tumoren verordnet werden.
Sie wirken, indem sie die Körperzellen hemmen, die Knochen abbauen können (Osteoklasten). Damit verschiebt sich das Gleichgewicht dieser Zellen mit ihren Gegenspielern, den Knochen aufbauenden Zellen (Osteoblasten). Dabei entsteht ein stabileres Knochengerüst. Das ist ein Vorteil bei Osteoporose, denn dadurch senkt sich die Gefahr für spätere Knochenbrüche erheblich.
Wirkstoffgruppe ist wichtige Vorsorge
Bedenkt man, dass heutzutage der gefürchtete Oberschenkelhalsbruch immer noch tödlich enden kann, ist die Wirkstoffgruppe eine wichtige Vorsorge besonders bei vielen risikobehafteten älteren Menschen. Der verringerte Knochenabbau durch Bisphosphonate kann auch die Ausbreitung von Knochenkrebs verringern oder entferntere Absiedlungen von bösartigen Tumoren (Metastasen) verhindern. Deshalb wird das Medikament bei bösartigen Tumoren im Knochenmark (z.B. Plasmozytom) eingesetzt, auch bei Metastasen und bei den Krebsarten, die vornehmlich im Knochen Metastasen produzieren - insbesondere bei Brust- oder Prostatakrebs.
Das Absterben von Kieferknochen ist eine sehr bedrohliche und gefürchtete Nebenwirkung, denn es kann sich großflächig bis in die Weichteile ausbreiten und ist manchmal nur schwer aufzuhalten. Ursache sind Verletzungen der Schleimhäute im Mund mit freiliegendem Knochen. So etwas gibt es häufiger, z.B. im normalen Heilungsverlauf nach Zahnentfernungen oder anderen Operationen im Mund, auch bei Parodontitis und bei ansonsten harmlosen Prothesendruckstellen. Beim gesunden Patienten bekämpft das Immunsystem die in den Knochen eindringenden Bakterien und dämmt die Entzündung ein. Bei durch Bisphosphonate verändertem Knochen fehlt diese Abwehrrektion, der Körper kann der Infektion nichts mehr entgegensetzen. In ganz ausgeprägten Fällen liegt dann der abgestorbene Knochen großflächig frei und hat keine schützende Schleimhaut mehr.
Nebenwirkungen sind vermeidbar
Diese Nebenwirkungen sind in den allermeisten Fällen vermeidbar, indem Patient, Arzt und Zahnarzt frühzeitig zusammenarbeiten. Möglichst schon vor Beginn einer Bisphosphonatbehandlung sollten alle aufwändigen Zahnbehandlungen abgeschlossen sein. Mit erhöhter Aufmerksamkeit wird der Zahnarzt all das vermeiden, was später zu Operationen, Parodontitis oder dauerhaften Prothesendruckstellen führen kann. Am Anfang verläuft eine Knochennekrose zumeist unbemerkt und schmerzfrei. Deshalb untersucht der Zahnarzt diese Patienten oft im dreimonatigen Rhythmus, um kleine Erkrankungen mit möglichst wenig Aufwand möglichst früh zu behandeln. Auch einfache Hygieneunterweisungen können die Nebenwirkungsrate erheblich senken und auch Patienten mit Prothesen sollten die regelmäßigen Kontrollen nicht vernachlässigen.
Nötige zahnärztliche Operationen dürfen meist nur noch unter hoch dosierter antibiotischer Abdeckung erfolgen. Oft überweist der Zahnarzt an einen Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgen und manchmal ist auch ein stationärer Aufenthalt nötig. Die Bisphosphonate während der zahnärztlichen Behandlung abzusetzen, bringt nichts, weil diese jahrzehntelang im Knochen verbleiben.
Weniger Nebenwirkungen bei Tabletten
Nicht alle Bisphosphonate haben die gleiche Nebenwirkungsrate. Man kann sagen: Je besser die zu erwartende Wirkung, desto wahrscheinlicher ist die zu erwartende Nebenwirkungsrate. Dabei macht es schon einen Unterschied, ob das Präparat gespritzt oder als Tablette eingenommen wird – Tabletten haben weniger Wirkung und somit auch weniger Nebenwirkung. Auch die Grunderkrankung ist verantwortlich für die Nekrosehäufigkeit. Nach Krebserkrankungen gibt es viel mehr Nebenwirkungen als bei Osteoporose. Und auch nicht jede Osteoporose verhält sich dabei gleich. Aus diesem Grund liegt es in der Aufgabe des Zahnarztes, ein individuelles Risikoprofil zu erstellen und allem Unangenehmen vorzubeugen.
Dr. med.dent. Jürgen Zitzen