Es kommt in Zahnarztpraxen im Kammerbezirk Nordrhein mehrfach am Tag vor: Die Mundhygiene eines Kind ist sichtbar vernachlässigt. Augenkontakt ist kaum möglich. Das Verhalten sehr auffällig. Schnell kommt der Verdacht auf, das Wohl des Kindes ist gefährdet. Doch wie kommt man mit dem Kind, und im besten Fall auch mit den Eltern, ins Gespräch? Das haben mehr als 100 Zahnärztinnen und Zahnärzte in einer Fortbildung der Zahnärztekammer gelernt.
Es ist kein schönes Thema: die zunehmende Gewalt in Familien und Partnerschaften. „Wir Zahnärztinnen und Zahnärzte sind da oft an vorderster Front“, sagt Dr. Ralf Hausweiler bei der Begrüßung der Kollegenschaft. Bisher waren den Zahnärztinnen und Zahnärzten aber regelrecht die Hände gebunden. Denn sie durften bis vor Kurzem bei einem Verdachtsfall nicht die Patientendaten austauschen oder gar mit dem Haus- oder Kinderarzt Kontakt aufnehmen. Dies war, laut Heilberufsgesetz, nur Ärzten erlaubt. „Ein großer Fehler und eine echte Lücke im Heilberufsgesetz“, sagt Dr. Hausweiler. Inzwischen wurde diese Lücke allerdings geschlossen. Auf Beitreiben der Zahnärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe wurden Zahnärztinnen und Zahnärzte jetzt mit in den §32 Abs 1 aufgenommen und sind nun zum interkollegialen Austausch befugt, wenn sich „der Verdacht ergibt, dass Minderjährige von physischer, psychischer oder sexualisierter Gewalt oder Vernachlässigung betroffen sind“, wie es im Gesetz heißt. „Wir sind verpflichtet als Zahnärztinnen und Zahnärzte den Menschen, und gerade den Hilflosen, zu helfen, aus der Gewaltspirale raus zu kommen“, sagt Dr. Hausweiler. Für ihn sei das Thema eine Herzensangelegenheit.
Rund drei Mal am Tag wenden sich inzwischen Medizinerinnen und Mediziner ratsuchend an das Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen. Die Zahlen sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Das Thema häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch wird daher ein immer wichtigeres Thema. Denn eine Verletzung an Kiefer oder Zähnen heilt nicht von allein. Auch die Vernachlässigung kann sehr gut in der Zahnarztpraxis entdeckt werden. „Karies verschwindet nicht, ein Hämatom schon“, erklärt Prof. Dr. Sibylle Banaschak, Leiterin des Kompetenzzentrums Kinderschutz im Gesundheitswesen NRW, das Teil der Rechtsmedizin an der Universität Köln ist. Sie nennt das „dentale Vernachlässigung“ und schreibt dieser eine Schlüsselrolle bei der Entdeckung von Gewalt und Vernachlässigung von Kindern zu. Daher sei es sehr wichtig, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte sich über das Thema informieren und vor allem wissen, wie sie damit richtig umgehen. Eine gesetzliche Meldepflicht ergibt sich nicht aus der Gesetzesänderung.
Telefonische Beratung
Kompetenzzentrum Kinderschutz im Gesundheitswesen:
Mo-Fr 8:00 – 20:00 Uhr
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